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Hallo Zusammen ,
ich lese gerade einen Text zum Thema Spracherweb von Steven Pinker und verstehe ein paar Sachen nicht.
"Sprache ist eine komplexe und hoch entwickelte Fertigkeit, die sich ohne bewusste Anstrengung oder formale Unterweisung beim Kind ganz spontan entwickelt und sich entfaltet, ohne dass das Kind sich der zu Grunde liegenden Logik bewusst wird; sie ist qualitativ bei allen Menschen gleich und von allgemeineren Fähigkeiten wie dem Verarbeiten von Informationen oder intelligenten Verhalten zu trennen[...]."
heißt das, dass man in der "Kinderphase" das Sprechen gar nicht erlernen muss, sondern dass das ganz automatisch kommt?
Den fett markierten Teil verstehe ich irgendwie gar nicht. Was heißt, dass die Sprache bei allen Menschen qualitativ gleich ist? Ist sie doch gar nicht. Ich spreche nicht so gut wie ein Germanist, wie kann die Sprache dann bei allen Menschen qualitativ gleich sein? Und was bedeutet diese Differenzierung mit dem Verarbeiten von Informationen?
"Sprache ist genauso wenig eine kulturelle Erfindung wie der aufrechte Gang. In ihr manifestiert sich auch nicht eine allgemeine Fähigkeit, mit Symbolen umzugehen - wie wir sehen werden, ist ein dreijähriges Kind ein grammatisches Genie, aber völlig unbeschlagen auf dem Gebiet der bildenden Kunst [...]"
Warum ist ein 3 jähriges Kind ein sprachliches Genie? Der Autor belegt hier doch seine These, dass Sprache keine kulturelle Erfindung ist, weil Kinder keine Ahnung von Kultur, wie beispielsweise Kunst haben, oder?
"Die Vorstellung, Sprache sei eine Art Instinkt, wurde zum ersten Mal von Darwin selbst geäußert. [...] Er musste sich mit dem Sprachvermögen auseinandersetzen, weil dessen Beschränkung auf den Menschen Darwins Theorie in Frage zu stellen schien."
Warum wurde dadurch die Theorie in Frage gestellt?
Ich weiß, dass das viel ist, aber vielleicht kann jemand beim Verständnis helfen.
Liebe Grüße
Sarah
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(Antwort) fertig | Datum: | 23:04 Do 05.02.2009 | Autor: | mmhkt |
Hallo Sarah,
die Aussage "qualitativ bei allen Menschen gleich" bedeutet hier, dass diese Fähigkeit beim Menschen grundsätzlich angelegt ist, also dass jeder Mensch von Natur aus diese Anlage hat Sprache zu erlernen.
Es geht also nicht um die Qualität der Sprache im Sinne von Ausdruck, grammatischer Sicherheit und Wortschatz.
Am Anfang steht die Zuordnung von Stimmlagen, Tonfall und -höhen, ein kleines Kind ist sehr schnell in der Lage zu erkennen "woher der Wind weht" je nachdem wie sich die Stimmen der Bezugspersonen anhören.
Dazu kommt seine Erfahrung mit eigenen sprachlichen Äußerungen, die sich am Anfang natürlich auf das Mitteilen von Grundbedürfnissen konzentrieren. Die akustischen Meldungen eines Säuglings und Kleinkinds lernen die Eltern ebenso rasch zu deuten, aus der Reaktion der Eltern auf seine Äußerungen lernt das Kind dann wiederum, dass es mit dieser Form der Mitteilung im Idealfall eine Befriedigung seiner Bedürfnisse erfährt. (natürlich versteht man sich nicht immer gleich richtig, das kennen alle Eltern, aber mit der Zeit kommt man dann doch drauf...)
Später geht es dann weiter mit der Zuordnung von Lauten und ganzen Wörtern zu Personen, Gefühlslagen, Gegenständen, etc.
Der passive Wortschatz, also das Verstehen von Wörtern und Sätzen, ist bei Kindern in der Regel schon recht ausgeprägt bevor sie selbst anfangen "richtig" zu sprechen.
Sprache entwickelt sich bei guter Anregung und unterstützendem Umfeld natürlich besser und schneller.
Ein Kind mit solchem Umfeld kann sich differenzierter ausdrücken, Gefühle beschreiben, Dinge hinterfragen und Konflikte auch auf sprachlicher Ebene lösen.
Im Gegensatz dazu wird ein Kind, dessen Sprachentwicklung nicht unterstützt und gefördert wird mit ziemlicher Sicherheit eine Verzögerung und Einschränkung in seiner sprachlichen Entwicklung erfahren.
Zur Verarbeitung von Informationen:
Das bezieht sich auf die Informationsaufnahmekapazität der Sinnesorgane und Nervenfasern, die Speicherkapazität des Gehirns, Informationsverknüpfungen pro Sekunde. Such mal unter "Kybernetik" oder "Psychokybernetik" - da wirst Du einiges dazu finden.
Es gibt tatsächlich Menschen, die sprachlich sehr versiert sind, aber einen eher durchschnittlichen oder geringen IQ haben.
Ebenso gibt es Menschen mit hohem IQ, die sprachliche Schwierigkeiten haben.
Sprache kommt nicht von selbst - die Anlagen sind bei jedem vorhanden - das Umfeld ist entscheidend für die sprachliche Entwicklung.
Gute sprachliche Förderung gleicht einiges aus, was vielleicht an Informationsverarbeitungskapazität fehlen mag.
Im umgekehrten Fall kann ein Kind mit hoher Informationsverarbeitungskapazität und fehlender Föderung oder/und einem nicht anregenden Umfeld seine Sprache nicht so gut entwickeln.
Man kann Kinder auch sprachlich unterdrücken, wenn sie sich nicht angenommen und bestätigt fühlen, wenn ihnen niemand zuhört, wenn sie sich in der Dialogphase (Lebensalter um 2 Jahre) nicht entfalten konnten oder ängstlich gehalten wurden. Ständige Unterweisungen oder Korrekturen ("sprich noch mal nach!" - "wie heißt das richtig?" - etc.) der kindlichen Sprache können zu Sprachstörungen führen. (Druck -> Angst -> Sprechhemmung, -angst, Sprachstörungen wie Stottern oder auch Schweigen in bestimmten Situationen)
Jetzt noch was zu Darwin:
Könnte es sein, dass die Kirche in dieser Frage ein Wort mitredete? Könnte es sein, dass in der Sprache des Menschen die "göttliche Fügung" oder "die Hand Gottes" gesehen wurde - der Mensch also doch erschaffen und nicht entwickelt aus Tieren? (wo kämen wir denn da hin?)
Das ist allerdings nur eine Idee - vielleicht bietet das www auch hierzu Informationen wenn Du die Suche mit entsprechenden Stichwörtern bestückst.
Das wars fürs erste, ich hoffe, dass es einigermaßen verständlich geworden ist.
Vielleicht weiß noch jemand mehr dazu.
Schönen Gruß
mmhkt
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Guten Morgen,
noch etwas zur Ergänzung:
Das sprachliche Genie eines Kindes ist m.E. darin zu erkennen, dass es ohne den ganzen Ballast der Grammatik und des "verkopften" Lernens, wie es später in der Schule und im Erwachsenenleben üblicherweise praktiziert wird, einfach durch Anlage, eigene Äußerungen und entsprechende Rückmeldungen und natürlich durch Nachahmung (auf neudeutsch: "listen and repeat...") seine Sprache entwickelt.
Dazu kommt die angeborene Neugier jeden Tag Neues zu entdecken und zu lernen. Verglichen mit den späteren Lebensjahren sind die ersten Jahre die Zeit, in der das Fundament gelegt wird und in der die größten und schnellsten Fortschritte beim Lernen gemacht werden.
"Jeder Satz besteht buchstäblich, den eine Person äußert oder versteht, aus einer völlig neuen Wortkombination, die in der Geschichte des Weltalls bislang nie dagewesen ist."
Das betont nach meiner Auffassung die Einzigartigkeit eines jeden Menschen, jeden gibt es so nur einmal - also sind in der Folge auch seine Gedanken, seine Wahrnehmung der Welt und seine Reaktionen darauf einmalig.
Natürlich ist nicht jede Äußerung so einmalig, dass sie nicht schon einmal in dieser Form geäußert wurde. Dazu gibt es zu viele ähnliche Situationen, in denen ein Mensch bewusst oder unbewusst nach einem erlernten Muster reagiert, sei es durch Verhalten oder Sprache.
Auf der anderen Seite: Stöbere mal durch die Foren hier - Du wirst wohl kaum identische Antworten finden auch wenn es um die gleichen Themen geht. Nicht einmal von ein und derselben Person werden sich Antworten buchstabengetreu wiederholen. (abgesehen von "kopieren und einfügen..."
Das wars für jetzt - mein Beitrag ist nur ein winziges Beet auf dem weiten Feld dieses Themas...
Schönen Gruß
mmhkt
@ reverend: Dankeschön!
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Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 23:24 Do 05.02.2009 | Autor: | reverend |
Hallo mmhkt, (und natürlich auch hallo Sarah, die Du dies zur Kenntnis liest)
das finde ich einen guten Beitrag, den ich in jeder Hinsicht unterstützen kann.
Das sprachliche Genie junger Kinder besteht, um Deine Beobachtungen zu verstärken, m.E. vor allem in der Fähigkeit, Regeln zu deduzieren statt sie für gegeben zu halten. Gerade darum sind kleine Kinder oft sprachlich sehr innovativ, ohne dass man ihnen ohne das Argument der Ungebräuchlichkeit wirklich widersprechen könnte.
lg,
reverend
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Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 05:20 Fr 06.02.2009 | Autor: | matux |
$MATUXTEXT(ueberfaellige_frage)
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