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(Frage) beantwortet | Datum: | 16:40 Sa 28.11.2009 | Autor: | moomann |
Hallo!
Wenn auch keine Schulaufgabe o.ä., so interessiert mich die Interpretation eines Akkordes in einer Jazz-Akkordfolge.
Ich habe folgende Akkorde (aus I Can't Give You Anything But Love (wahrscheinlich nicht in der Originaltonart ...)):
Bb Cm7 | Bb Bbdim | Cm7 | F7 | Bb
Mich interessiert die Bedeutung des verminderten Akkords Bbdim. Hätte hier eher einen Bdim erwartet, was man vor der folgenden II-V-I auch öfters mal findet. Ich weiß, dass ich verminderte Akkorde oft als Septimen-Akkorde mit tiefalterierter None ohne Grundton deuten kann. Häufig kommen diese Akkorde ja auch einfach als Resultat eines Halbtonschrittes im Bass, doch dann wäre hier der Bdim angebracht.
Ich kann keine Überleitung zum Cm7 erkennen und bin mir unschlüssig, was ich für eine Skala über diesen Akkord spielen kann.
Klärt mich jemand auf?
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Hallo moomann,
in dieser Version der Harmoniefolge scheint [mm] B^{b\,dim} [/mm] in der Tat nicht logisch.
Wirf mal einen Blick auf das angebliche Originalarrangement (G-Dur) und vergleiche es mit einer Harmonisierung des Stückes in [mm]E^b[/mm]-Dur. Da kannst Du sehen, wie unterschiedlich Harmonien gedeutet werden.
Ich beziehe mich im folgenden mal auf G-Dur. Sowohl Deine Vorlage als auch die Barpiano-Vorlage müssten dann entsprechend transponiert werden.
Nehmen wir Zählzeit 3 im 1. Takt. Das Original hat hier, von unten nach oben, d-h-d-e. Das könnte nun (vom Bass her gedeutet) ein unvollständiger [mm] D^{6/9} [/mm] sein, oder vielleicht ein ebenfalls unvollständiger [mm] G^6 [/mm] mit D im Bass, oder auch ein unvollständiger [mm] Em^7 [/mm] etc.
Ein [mm] Am^7 [/mm] ist es allerdings nicht. Deine Vorlage setzt also eine andere Begleitung voraus.
Sowohl die Barpianofassung als auch das Original haben in der zweiten Takthälfte des zweiten Taktes [mm] B^{b\,dim} [/mm] und damit letztlich nichts anderes als den bei Dir notierten [mm] G^{dim} [/mm] (Erinnerung: alles nach G-Dur transponiert!). Allerdings ist die Deutung eine andere.
Die Barpianofassung hat zu Beginn T.2 ein Hm (engl.: Bm) und damit einen chromatischen Abgang im Bass bis zur Molldoppeldominante [mm] Am^7. [/mm] Den Bassabgang hat die Originalfassung auch, aber die Harmonie auf Zählzeit 2 in T.2 legt eher nahe, dass es sich nun tatsächlich um [mm] Em^7 [/mm] mit H im Bass handeln soll.
Letztlich aber ist gerade das die Kunst der Jazzharmonik, dass sie sich einer strengen funktionalen Analyse entzieht bzw. Anschlüsse nach vorn und hinten nur ermöglicht, indem Harmonien doppeldeutig sind oder gar aktiv umgedeutet werden.
Deswegen ist auch die Harmonisierung Deiner Vorlage eine gültige und sehr jazzgerechte. Wie man allerdings den bei Dir angegebenen [mm] G^{dim} [/mm] zwischen G und Am mit Leben füllt, sehe ich gerade nicht, aber das liegt eher an seiner Umgebung und der Besonderheit der verminderten Akkorde, über jedem ihrer Töne als Vierklang aufgebaut werden zu können.
Ich hoffe, die drei verschiedenen Tonarten verwirren Dich nicht, aber es liest sich eher, als hättest Du selbst reichlich Ahnung vom Thema. Dann ist es wahrscheinlich kein Problem.
Liebe Grüße
reverend
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(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 18:26 Sa 28.11.2009 | Autor: | moomann |
Danke für diese ausführliche Antwort. Schon mal interessant zu sehen, dass da überall was anderes steht (obwohl das ja eigentlich sowieso nicht so ungewöhnlich im Jazz ist).
Ich habe mir die Akkordfolge noch mal vorgespielt. Dabei ist mir aufgefallen, dass der Bbdim (in B-Dur) sehr starke Dominant-Wirkung auf den übernächsten Akkord F7 hat. So gesehen versuche ich mal den
Bbdim (Bb, Db, Fb ( = E), Abb (schreibt man das so?? auf jeden fall = Ases = G)
zu deuten als C7b9, also als Dominante zum F7, wobei dem F7 lediglich kurz Cm7 vorgeschaltet ist. Also spiele ich über den Akkord C-harmonisch-moll-5 oder irgendetwas Vergleichbares, das eine kleine None enthält.
Es ist doch immer wieder interessant, wie viele Gedanken man sich über einen halben Takt machen kann ...
Aber wenn das, was man spielt, nicht gut klingt, ist es durchaus berechtigt.
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(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 18:49 Sa 28.11.2009 | Autor: | reverend |
Hallo moomann,
> Danke für diese ausführliche Antwort. Schon mal
> interessant zu sehen, dass da überall was anderes steht
> (obwohl das ja eigentlich sowieso nicht so ungewöhnlich im
> Jazz ist).
Eben. Und was man dann spielt, ist vielleicht noch anders.
> Ich habe mir die Akkordfolge noch mal vorgespielt. Dabei
> ist mir aufgefallen, dass der Bbdim (in B-Dur) sehr starke
> Dominant-Wirkung auf den übernächsten Akkord F7 hat.
Klar. Die Lieblingsauflösung des verminderten Akkords liegt ja im Durakkord auf einem Grundton, der einen Halbton über einem der Harmonietöne des verminderten Akkords liegt. [mm] B^{b\,dim} [/mm] also nach H-, D-, F- oder Ab-Dur, ggf. mit Alterationen.
> So gesehen versuche ich mal den
> Bbdim (Bb, Db, Fb ( = E), Abb (schreibt man das so?? auf
> jeden fall = Ases = G)
vielleicht [mm]A^{b\!b}[/mm]? Das wäre aber schon fortgeschrittene TeX-Eingabe...
> zu deuten als C7b9, also als Dominante zum F7, wobei dem F7
> lediglich kurz Cm7 vorgeschaltet ist.
Warum nicht? Fehlt ihm dann aber der Grundton (nicht notwendig als Bass), oder nimmst Du noch ein C dazu?
> Also spiele ich über
> den Akkord C-harmonisch-moll-5 oder irgendetwas
> Vergleichbares, das eine kleine None enthält.
>
> Es ist doch immer wieder interessant, wie viele Gedanken
> man sich über einen halben Takt machen kann ...
> Aber wenn das, was man spielt, nicht gut klingt, ist es
> durchaus berechtigt.
Genau. Ich schreibe auch selbst und habe manchmal tagelang immer wieder neue Harmonisierungen ausprobiert, bis ich endlich zufrieden war.
Viel Erfolg bei der Suche nach der perfekten Begleitung!
lg
rev
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